1‑2‑3‑LQTS‑Risk‑Scores bei kongenitalem Long QT‑Syndrom (LQTS)

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Anwendung des 1‑2‑3‑LQTS‑Risk‑Scores bei kongenitalem Long QT‑Syndrom (LQTS)

1. Zielsetzung und klinische Relevanz

Der 1-2-3-LQTS-Risk-Score ist ein prognostisches Instrument zur Abschätzung des 5-Jahres-Risikos für lebensbedrohliche arythmische Ereignisse (Life-Threatening Arrhythmic Events, LAE) bei Patientinnen und Patienten mit genetisch bestätigtem LQTS Typ 1, Typ 2 oder Typ 3. Er wurde entwickelt, um die Risikostratifizierung über das bisherige binäre Vorgehen hinaus zu verbessern und therapeutische Entscheidungen – insbesondere hinsichtlich Implantation eines implantierbaren Kardioverter-Defibrillators (ICD) – evidenzbasiert zu unterstützen. 

2. Studienlage und Validierung

Der Score wurde erstmals im Jahr 2018 von Andrea Mazzanti et al. anhand einer längsschnittlichen Kohorte mit genetisch bestätigten LQTS-Patienten entwickelt und anschließend in einer unabhängigen Validierungskohorte mit 1.689 Patienten überprüft. Dabei ergab sich eine C-Index von 0,69 (95 % CI 0,61–0,77) in der Validierungskohorte.  Die Autoren identifizierten einen 5-Jahres-Risikoschwellenwert von etwa ≥ 5 % als ausgewogen zwischen Sensitivität und Spezifität für die Entscheidung zur ICD-Implantation (Number Needed to Treat, NNT ≈ 9). 

3. Eingangsvariablen und Modellstruktur

Das Modell basiert auf zwei Hauptvariablen:

  • Genotyp: LQTS Typ 1 (LQT1), Typ 2 (LQT2) oder Typ 3 (LQT3)
  • QTc-Intervall (korrigiertes QT) in Millisekunden

Die Risiko-Berechnung erfolgt anhand folgender Struktur:

  • Die QTc wird in die Modellformel integriert als kontinuierlicher Parameter. 
  • Der Genotyp wird als kategorischer Faktor berücksichtigt: LQT2 bzw. LQT3 bringen einen zusätzlichen Faktor gegenüber LQT1.  Die Wahrscheinlichkeit für ein LAE innerhalb von 5 Jahren wird dann aus einer einfachen Prognoseformel abgeleitet: \text{5-Jahres-Risiko} = 1 − S_0(t)^{\exp(\text{Prognostic Index})} wobei S_0(t) der Überlebens-Basiswert und „Prognostic Index“ die individuell berechnete Punktzahl ist. 

4. Interpretation und Risikokategorien

  • Ein 5-Jahres-Risiko ≥ 5 % gilt nach Validierung als bedeutende Schwelle zur Überlegung einer ICD-Implantation. 
  • Höhere Risiken lassen auf eine ausgeprägte Vulnerabilität schließen – z. B. bei QTc-Verlängerung und ungünstigem Genotyp.
  • Der Score ersetzt nicht die klinische Gesamtbeurteilung (z. B. Synkopen in der Vorgeschichte, Schwangerschaft/Stillzeit, Medikamenteneffekte), sondern ergänzt diese.

5. Klinische Anwendung im Versorgungsprozess

  • Bei genetisch bestätigtem LQTS (Typ 1, 2 oder 3) wird frühzeitig der 1-2-3-LQTS-Risk-Score berechnet (QTc bestimmen, Genotyp dokumentieren).
  • Ergebnis: Individualisiertes Risiko für lebensbedrohliche Ereignisse über 5 Jahre.
  • In der Herzrhythmus-Sprechstunde bzw. im Herz-Team wird dieser Risikowert mit weiteren Parametern (z. B. Vorgeschichte von Synkopen, Medikamenten- bzw. Elektrolytstatus, Therapie-Compliance) diskutiert.
  • Bei einem Risiko ≥ 5 % sollte eine verstärkte Überwachung, ggf. ICD-Implantation, Erwägung einer spezifischen Therapie (z. B. Mexiletin bei LQT3), sowie Lebensstil- und Medikamentenanpassungen erfolgen.
  • Score-Ergebnis dokumentieren und ggf. in Transplantations-/Elektrophysiologie-Registern erfassen.

6. Limitationen und wichtige Hinweise

  • Das Modell gilt nur für Patientinnen und Patienten mit genetisch bestätigtem LQT1, LQT2 oder LQT3 (eine einzelne Mutation) und wurde nicht auf andere LQTS-Gene oder „Genotyp-negativ“-Patienten validiert. 
  • Es berücksichtigt nicht alle bekannten Risikofaktoren – z. B. Begleiterkrankungen, Medikamente mit QT-verlängernder Wirkung, physiologische Zustände wie Schwangerschaft oder Elektrolytstörungen.
  • Ein Risiko-Wert sagt nicht zwangsläufig eine Veranstaltung voraus – vielmehr handelt es sich um eine Wahrscheinlichkeit. Umgekehrt erlaubt ein niedriger Wert kein Nachlassen der Wachsamkeit.
  • Die Genauigkeit (C-Index ~0,69) zeigt eine moderate, aber nicht perfekte Vorhersagekraft. 

7. Schlussbemerkung

Der 1-2-3-LQTS-Risk-Score stellt ein modernes und validiertes Werkzeug zur Risikostratifizierung von genetischem LQTS dar. Er unterstützt eine individualisierte Prognoseabschätzung und kann die therapeutische Planung – insbesondere im Hinblick auf ICD-Implantation – verbessern. Dennoch bleibt der Score Teil eines umfassenden klinischen Entscheidungsprozesses und ersetzt nicht die ärztliche Einschätzung.

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