Die Smith-Modifizierten Sgarbossa-Kriterien dienen der verbesserten Erkennung eines akuten Myokardinfarkts (insbesondere einer okklusiven koronaren Erkrankung, „occlusion myocardial infarction“ [OMI]) bei Patienten mit bestehendem Linksschenkelblock (LBBB) oder ventrikulärer Schrittmacher-Rhythmik. Da bei LBBB die übliche ST-Segment-Diagnostik erschwert ist, sollen diese Kriterien helfen, eine klinisch relevante koronare Okklusion frühzeitig zu identifizieren.
Definition der Kriterien
Die modifizierten Kriterien beinhalten drei Hauptbefunde:
- Konkordante ST-Segment-Hebung Mindestens 1 mm ST-Hebung in einer Ableitung mit positivem QRS-Komplex.
- Konkordante ST-Segment-Senkung Mindestens 1 mm ST-Senkung in einer der Ableitungen V1–V3.
- Proportional überhöhte diskordante ST-Hebung Mindestens 1 mm ST-Hebung in einer Ableitung mit vorwiegend negativem QRS-Komplex – dabei gilt: ST-Hebung ≥ 25 % der Tiefe der vorausgehenden S-Welle (ST/S-Ratio ≤ –0,25) gilt als positiv.
Wenn mindestens eines dieser drei Kriterien erfüllt ist, gilt der Befund als Hinweis auf eine mögliche akute koronare Okklusion im Kontext von LBBB bzw. ventrikulärer Schrittmacher-Rhythmik.
Diagnostische Genauigkeit
- In Studien erreichte die modifizierte Regel eine Sensitivität von etwa 80–91 % bei gleichzeitig hoher Spezifität (≈ 90 %) zur Erkennung einer OMI bei LBBB.
- Im Vergleich dazu sind die ursprünglichen Sgarbossa‑Kriterien zwar hochspezifisch, jedoch deutlich weniger sensitiv.
Klinische Anwendung
Bei Patienten mit klinischem Verdacht auf akutes Koronarsyndrom und vorliegendem LBBB oder ventrikulärem Schrittmacher-Rhythmus ist ein Standard-EKG häufig nicht ausreichend zur Entscheidung über dringliche Reperfusion. Die Anwendung der Smith-modifizierten Sgarbossa-Kriterien unterstützt folgende Schritte:
- Bewertung des EKG nach den drei Kriterien (siehe oben)
- Erfüllung eines Kriteriums ⇒ Hochverdacht auf verschlossene Koronargefäßologie ⇒ sofortige Einbindung des Herz-Katheter-Teams bzw. Weiterführung gemäß STEMI-Algorithmus
- Kein Kriterium erfüllt ⇒ Fortführung mit seriellen EKGs, Biomarkern, ggf. Bildgebung (z. B. Echokardiographie) und klinischer Überwachung
Limitationen
- Auch bei negativen Kriterien bleibt ein Restrisiko für eine koronare Okklusion bestehen; ein negatives EKG entbindet nicht von der weiteren Abklärung.
- Die Messung der ST/S-Ratio erfordert exakte Bestimmung von S-Wellen-Amplitude und ST-Höhe und kann in der Praxis fehleranfällig sein.
- Bei stark verzerrtem EKG-Bild (z. B. durch erhebliche LV-Hypertrophie, Schrittmacher, erhebliche Elektrolyt- oder medikamentöse Veränderungen) kann die Aussagekraft eingeschränkt sein.
- Die Kriterien sind als Hilfsmittel gedacht und ersetzen nicht die klinische Gesamtbeurteilung inklusive Hämodynamik, Symptomatik und Risikofaktoren.
Schlussbemerkung
Die Smith-Modifizierten Sgarbossa-Kriterien stellen eine wichtige Erweiterung der diagnostischen EKG-Werkzeuge für Patienten mit LBBB oder ventrikulärem Schrittmacher dar. Durch ihre höhere Sensitivität bei gleichzeitig akzeptabler Spezifität sind sie besonders wertvoll zur frühzeitigen Identifikation relevanter Koronarokklusionen. Dennoch bleibt die Anwendung im klinischen Kontext samt Integration weiterer diagnostischer Modalitäten unabdingbar.