Wells-Score für DVT

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Anwendung des Wells‑Score (DVT) zur Abschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer tiefen Venenthrombose (TVT)

1. Zielsetzung und klinische Bedeutung

Die klinische Einschätzung der Vortest-Wahrscheinlichkeit einer tiefen Venenthrombose (TVT) ist ein zentraler Schritt in der Diagnostik venöser Thromboembolien (VTE). Der Wells-Score bietet eine strukturierte und validierte Methode zur Klassifikation in Risikogruppen und dient der gezielten Entscheidung über Labor- und bildgebende Diagnostik. Eine präzise Einschätzung reduziert unnötige Untersuchungen und optimiert zugleich die Patientensicherheit.

2. Parameter und Punktezuteilung

Der Score basiert auf klinischen Befunden und Risikofaktoren mit folgender Punktvergabe:

  • Aktive Malignomerkrankung (Behandlung innerhalb der letzten 6 Monate oder Palliativtherapie) → +1 Punkt 
  • Lähmung, Parese oder Gipsbehandlung einer unteren Extremität („Benpares oder Gips“) → +1 Punkt 
  • Immobilisation > 3 Tage oder Operation innerhalb der letzten 4 (oder 12) Wochen → +1 Punkt 
  • Lokalisierte Druck- oder Schmerzempfindlichkeit entlang des tiefen Venensystems → +1 Punkt 
  • Schwellung der gesamten betroffenen Extremität → +1 Punkt 
  • Wadenumfangdifferenz ≥ 3 cm gegenüber der Gegenseite (gemessen 10 cm unterhalb der Tuberositas tibiae) → +1 Punkt 
  • Pitting-Ödem im symptomatischen Bein → +1 Punkt 
  • Sichtbare oberflächliche Kollateralen (nicht lediglich Varizen) → +1 Punkt 
  • Frühere, objektiv diagnostizierte TVT → +1 Punkt 
  • Andere Diagnose mindestens genauso wahrscheinlich wie eine TVT → −2 Punkte 

Die erzielbare Punktzahl variiert typischerweise zwischen –2 und +9. 

3. Klassifikation der Wahrscheinlichkeiten

Die Einteilung kann zweistufig oder dreistufig erfolgen:

  • Dreistufig: „niedrige Wahrscheinlichkeit“ (z. B. 0 Punkte oder weniger), „moderate Wahrscheinlichkeit“ (z. B. 1–2 Punkte), „hohe Wahrscheinlichkeit“ (≥ 3 Punkte) 
  • Zweistufig: „TVT unwahrscheinlich“ (< 2 Punkte) vs. „TVT wahrscheinlich“ (≥ 2 Punkte) 

Beispielhafte Prävalenzzahlen: Mit 0 Punkten liegt die Wahrscheinlichkeit einer TVT bei etwa 3 %, mit 1–2 Punkten bei etwa 17 % und bei ≥3 Punkten bis zu etwa 75 %. 

4. Integration in den diagnostischen Algorithmus

Bei einer Einstufung in die Kategorie „niedrige Wahrscheinlichkeit“ kann eine D-Dimer-Bestimmung erfolgen. Ein negatives Ergebnis erlaubt oftmals den sicheren Ausschluss einer TVT ohne weitere Bildgebung. 

Bei einer Einstufung in die Kategorie „TVT wahrscheinlich“ wird eine Bildgebung (z. B. Duplex-Ultraschall des proximalen venösen Systems) unmittelbar empfohlen. Ein positives D-Dimer alleine rechtfertigt ohne entsprechende Wahrscheinlichkeits­einstufung keine Bildgebung.

5. Evidenz zur diagnostischen Genauigkeit

Der Wells-Score für TVT wurde in mehreren Studien validiert und zeigt gute Trennschärfe hinsichtlich der Vortestwahrscheinlichkeit.  Ein niedriger Score kombiniert mit negativem D-Dimer liefert eine hohe Sicherheit für den Ausschluss. Die gespeicherten Prävalenzwerte und Risikogruppen variieren jedoch je nach Kohorte und Setting.

6. Klinische Anwendung – Vorteile und Limitationen

Vorteile: Der Score erlaubt eine strukturierte klinische Einschätzung, fördert die systematische Dokumentation und unterstützt evidenzbasiert die Auswahl diagnostischer Maßnahmen.

Limitationen:

  • Eine Komponente („andere Diagnose mindestens genauso wahrscheinlich“) enthält eine subjektive Einschätzung, die von der klinischen Erfahrung abhängt.
  • Der Score ist weniger gut validiert in speziellen Populationen wie hospitalisierten Patienten, Schwangeren oder Patienten mit vorbestehender Antikoagulation. 
  • Ein niedriger Score schliesst die Diagnose nicht absolut aus — die Gesamtbeurteilung inklusive klinischer Veränderung bleibt unabdingbar.

7. Praktische Hinweise zur Implementierung

  • Alle Kriterien sollten bei Patienten mit Verdacht auf TVT routinemässig erhoben und dokumentiert werden.
  • Eine klare Handlungsempfehlung (z. B. D-Dimer-Test bei niedriger Wahrscheinlichkeit, Ultraschall bei hoher Wahrscheinlichkeit) sollte im Klinik- oder Praxisleitfaden verankert sein.
  • Fortbildungen für Ärztinnen/Ärzte und Pflegefachpersonen zur standardisierten Anwendung verbessern die Konsistenz und Vergleichbarkeit.
  • Qualitätskennzahlen (z. B. Anteil unnötiger Duplex-Ultraschalluntersuchungen bei niedriger Wahrscheinlichkeit) können regelmässig überwacht werden.

8. Schlussbemerkung

Der Wells-Score für TVT stellt ein etabliertes und evidenzbasiertes Instrument zur klinischen Risikostratifizierung dar. In Kombination mit einer D-Dimer-Bestimmung und gezielter Bildgebung ermöglicht er ein patientenorientiertes, ressourcenschonendes und wissenschaftlich fundiertes Vorgehen. Dennoch bleibt die individuelle klinische Gesamtbeurteilung unumgänglich – der Score ergänzt das klinische Urteil, ersetzt es jedoch nicht.

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