MELD‑Score (Model for End-Stage Liver Disease) bei chronischer Lebererkrankung
1. Zielsetzung und klinische Bedeutung
Der MELD-Score ist ein etablierter prognostischer Marker zur Einschätzung des Überlebens bei Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung (z. B. Leberzirrhose) und dient insbesondere zur Priorisierung bei Lebertransplantationslisten. Zunehmend findet der Score auch Anwendung zur Risikoabschätzung bei Patienten mit Dekompensation oder vor bestimmten Eingriffen.
2. Zusammensetzung und Formel
Die ursprüngliche Formel basiert auf drei Labormesswerten: Gesambilirubin, Serumkreatinin und International Normalized Ratio (INR) der Prothrombinzeit.
Standardformel (Original-MELD):

Einige wichtige Aspekte zur Anwendung der Formel:
- Werte kleiner als 1,0 mg/dl für Bilirubin, Kreatinin oder INR werden zur Vermeidung negativer Werte auf 1,0 gesetzt.
- Bei Patientinnen und Patienten mit Dialyse (z. B. zwei Dialysen in den letzten 7 Tagen) wird die Kreatininkonzentration als 4,0 mg/dl angenommen.
- Eine neuere Variante („MELD-Na“) integriert zusätzlich das Serum-Natrium zur Verbesserung der Prognosegenauigkeit.
3. Interpretation und Risikostratifizierung
Der MELD-Score kann Werte typischerweise im Bereich von etwa 6 bis 40 annehmen; höhere Werte korrelieren mit einem erhöhten Risiko für 90-Tage-Mortalität.
Beispiele zur Mortalitätsabschätzung:
- MELD ≤ 9 → etwa 1,9 % Risiko für 90-Tage-Sterblichkeit.
- MELD 10–19 → ca. 6,0 %.
- MELD 20–29 → ca. 19,6 %.
- MELD 30–39 → ca. 52,6 %.
- MELD ≥ 40 → ca. 71,3 %. In der Transplantationspraxis dient der Score zur Priorisierung der Zuteilung von Spenderorganen: Je höher der MELD-Score, desto dringlicher die Notwendigkeit einer Lebertransplantation.
4. Klinische Anwendung im Versorgungsprozess
- Bei allen Erwachsenen ab etwa 12 Jahren mit fortgeschrittener Lebererkrankung sollte regelmäßig ein MELD-Score berechnet werden, insbesondere wenn eine Transplantationsliste aufgenommen wurde.
- Veränderungen des Scores über die Zeit (z. B. steigender Wert) weisen auf klinische Verschlechterung hin und können therapeutische Schritte (z. B. Evaluation für Transplantation, Intensivierung der Therapie) erfordern.
- Der Score ersetzt nicht die vollständige klinische und bildgebende Beurteilung, sondern ergänzt sie methodisch.
- Spezielle Ausnahmefälle (z. B. hepatozelluläres Karzinom, seltene Stoffwechsellebererkrankungen) können zusätzliche „Exception Points“ zur Transplantationspriorisierung erhalten.
5. Limitationen und Vorsichtshinweise
- Der MELD-Score berücksichtigt keine Manifestationen der portalen Hypertension (z. B. Aszites, Varizenblutung) oder neurologische Komplikationen wie hepatische Enzephalopathie direkt, sodass das klinische Gesamtbild dennoch wichtig bleibt.
- Muskelmasse, medikamentöse Einflüsse auf Kreatinin und INR sowie akute Zustände (z. B. Infektionen, Hämolyse) können den Score erhöhen, ohne dass eine primäre Leberverschlechterung vorliegt.
- Bei Kindern unter 12 Jahren gilt der PELD‑Score (Pediatric End-Stage Liver Disease) anstelle des MELD.
6. Schlussbemerkung
Der MELD-Score stellt ein robustes, evidenzbasiertes Instrument zur quantitativen Einschätzung des Risikos bei fortgeschrittener Leberkrankheit dar. Er unterstützt die strategische Zuteilung von Spenderorganen und ermöglicht eine objektive Risikopriorisierung. In der klinischen Routine ist jedoch stets eine ganzheitliche Beurteilung erforderlich – der MELD-Score ergänzt, ersetzt jedoch nicht das klinische Urteil.