Anwendung des TIMI Risk Score bei Patientinnen und Patienten mit Nicht‑ST‑Hebungs‑Akutkoronarsyndrom (NSTEMI) oder Instabile Angina pectoris
1. Zielsetzung und klinische Bedeutung
Die Risikostratifizierung zu Beginn der hospitalen Versorgung von Patienten mit NSTEMI oder instabiler Angina ist von zentraler Bedeutung für die Wahl der therapeutischen Strategie—insbesondere hinsichtlich Antithrombotikatherapie, Intensität der Überwachung und Zeitpunkt einer invasiven Koronarangiographie. Der TIMI-Score stellt ein etabliertes, einfach anwendbares Instrument zur Abschätzung des kurzfristigen Risikos von Mortalität, Myokardinfarkt oder dringlicher Revaskularisierung dar.
2. Zusammensetzung des Scores (für NSTE-ACS)
Der Score umfasst sieben klinische Parameter, die jeweils mit einem Punkt gewichtet werden. Die Parameter im Einzelnen sind:
- Alter ≥ 65 Jahre.
- Drei oder mehr Risikofaktoren für koronare Herzkrankheit (z. B. Hypertonie, Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus, Rauchen, familiäre KHK).
- Bekannte koronare Herzkrankheit (Stenose ≥ 50 %) oder vorherige KHK-Diagnose.
- Einnahme von Acetylsalicylsäure in den letzten 7 Tagen.
- Zwei oder mehr Angina-Episoden in den letzten 24 Stunden.
- ST-Segment-Abweichungen (≥ 0,5 mm) im EKG bei Aufnahme.
- Erhöhter kardialer Biomarker (z. B. Troponin oder CK-MB).
Die maximale Punktzahl liegt demnach bei 7.
3. Interpretation des Gesamtscores
Mit steigender Punktzahl erhöht sich das Risiko für das kombinierte Endpunkt-Geschehen („Tod, Myokardinfarkt oder dringliche Revaskularisierung“) innerhalb von 14- bzw. 30 Tagen deutlich. Beispiele für Risikoabschätzungen:
- Score 0-1 Punkte: etwa 4–5 % Risiko.
- Score 2 Punkte: etwa 8 % Risiko.
- Score 3 Punkte: etwa 13 % Risiko.
- Score 4 Punkte: etwa 20 % Risiko.
- Score 5 Punkte: ca. 26 % Risiko.
- Score 6-7 Punkte: bis zu ca. 40 % Risiko.
4. Klinische Anwendung im Versorgungsprozess
- Bei Aufnahme eines Patienten mit NSTEMI oder instabiler Angina sollte der TIMI-Score frühzeitig bestimmt werden.
- Ein niedriger Score spricht für ein geringeres Risiko und ermöglicht unter bestimmten Bedingungen eine konservativere Überwachung bzw. weniger dringliche invasive Maßnahmen.
- Ein hoher Score weist auf ein hohes Risiko hin und rechtfertigt zeitnah ein intensiveres Management (z. B. frühzeitige Koronarangiographie, intensivere antithrombotische Therapie, Monitoring auf der Überwachungsstation).
- Der Score ersetzt nicht die komplette klinische Einschätzung—Ergebnisse müssen im Kontext von Vitalstatus, Komorbiditäten, klinischem Befund und bildgebender Diagnostik betrachtet werden.
5. Limitationen und praktische Hinweise
- Der TIMI-Score war ursprünglich in Studienpopulationen mit NSTEMI/instabiler Angina abgeleitet und validiert; seine Leistungsfähigkeit kann in stark abweichenden Populationen (z. B. sehr hohe Alter, schwere Niereninsuffizienz, extreme Komorbiditäten) variieren.
- Er berücksichtigt keine ausführliche echokardiographische Funktion, keine Schwere der Koronarstenosen im Detail, keine neueren Biomarker oder Bilddaten.
- Auch niedrige Punktzahlen garantieren kein Risiko von null – das heißt, selbst bei geringer Punktzahl sind klinische Wachsamkeit und ggf. weitere Diagnostik erforderlich.
6. Schlussbemerkung
Der TIMI-Risk-Score bietet eine bewährte, rasch durchführbare Methode zur Risikostratifizierung von Patientinnen und Patienten mit NSTEMI oder instabiler Angina. Seine Anwendung unterstützt die Entscheidungsfindung bezüglich Überwachungsintensität, antithrombotischer Therapie und des Zeitpunkts einer invasiven Koronarbetrachtung. In Kombination mit klinischer Expertise und weitergehender Diagnostik trägt er zur Optimierung des Versorgungsprozesses bei akutem Koronarsyndrom bei.