Einführung in die pädiatrische und neonatale EKG-Interpretation
Prinzipien der pädiatrischen und neonatalen EKG-Interpretation
Die pädiatrische und neonatale EKG-Interpretation folgt den gleichen Prinzipien wie bei der EKG-Interpretation bei Erwachsenen, aber es gibt wichtige Unterschiede. Diese Unterschiede werden weitgehend durch die dramatischen physiologischen und anatomischen Veränderungen erklärt, die im Säuglingsalter und in der Kindheit stattfinden. Die größten Veränderungen treten im ersten Lebensjahr auf. Das EKG entwickelt sich parallel zur sich verändernden Anatomie und Physiologie des Herzens. EKG-Amplituden, Intervalle und Wellenformen unterscheiden sich daher bei Kindern und es gibt deutliche Altersschwankungen im gesamten Kindesalter. Kliniker, die in der pädiatrischen und neonatalen Versorgung arbeiten, müssen Kenntnisse über die altersbedingten Schwankungen des EKGs haben, genauso wie über die Herzerkrankungen, die Säuglinge und Kinder betreffen können.
Physiologische und anatomische Entwicklung im Säuglingsalter und Kindesalter
Bei Erwachsenen ist der linke Ventrikel erheblich größer als der rechte Ventrikel. Dies ist das Ergebnis einer ventrikulären Anpassung an den Widerstand, der von den Ventrikeln überwunden werden muss. Der linke Ventrikel muss den Druck in der Aorta und im systemischen Kreislauf (normalerweise 120 mmHg bei Erwachsenen) überwinden. Der rechte Ventrikel muss den Druck im Lungenkreislauf überwinden (normalerweise 15 mmHg bei Erwachsenen). Daher ist der Druck im systemischen Kreislauf um ein Vielfaches höher als der Druck im Lungenkreislauf, was erklärt, warum der linke Ventrikel viel größer ist (bezogen auf das ventrikuläre Volumen und die Muskelmasse) als der rechte Ventrikel. Siehe auch Abbildung 1.
Da der linke Ventrikel bei Erwachsenen viel größer ist als der rechte Ventrikel, werden die QRS-Komplexe vollständig von den im linken Ventrikel erzeugten elektrischen Strömen dominiert. Dies erklärt, warum die Ableitungen V4-V6 normalerweise große R-Wellen bei Erwachsenen aufzeigen (siehe Das normale EKG).
Der fetale Kreislauf
Während der Fetalphase und des ersten Lebensmonats ist der rechte Ventrikel größer als der linke Ventrikel. Dies erklärt sich aus der Tatsache, dass der rechte Ventrikel im Vergleich zum linken Ventrikel Blut gegen einen größeren Widerstand pumpt. Um dies zu verstehen, bedarf es Kenntnissen über den fetalen Kreislauf, welcher in Abbildung 2 dargestellt ist.
Der Fötus erhält sauerstoffreiches Blut aus der Plazenta über die Vena cava inferior. Blut in der Vena cava inferior strömt weiter zum rechten Vorhof. Unterdessen gelangt sauerstoffarmes Blut der Vena cava superior (welche Blut aus dem Kopf und den oberen Gliedmaßen zurückführt) auch in den rechten Vorhof. Sauerstoffhaltiges und sauerstoffarmes Blut vermischt sich dann im rechten Vorhof. Im Fötus gibt es eine Öffnung — nämlich das Foramen ovale — zwischen dem rechten und linken Vorhof. Das meiste Blut im rechten Vorhof fließt durch das Foramen ovale in den linken Vorhof. Das Blut fließt vom linken Vorhof in den linken Ventrikel und von dort wird es in die Aorta (d.h. in den systemischen Kreislauf) gepumpt. Es ist zu beachten, dass auch Blut aus dem rechten Vorhof in den rechten Ventrikel fließt, von wo es in die Lungenarterie gepumpt wird. Im Fötus verbindet ein Shunt namens Ductus arteriosus die Lungenarterie und die Aorta. Da der Widerstand im Lungenkreislauf hoch ist, wird der Großteil des in die Lungenarterie fließenden Blutes durch den Ductus arteriosus in die Aorta geshunted.
Es ist wichtig zu beachten, dass die rechtsventrikuläre Belastung während der fetalen Periode größer ist als die linksventrikuläre Belastung. Dies erklärt sich durch die Konfiguration des fetalen Kreislaufs: der Lungenwiderstand ist hoch (was bedeutet, dass der Widerstand in der Lungenarterie hoch ist), während der Widerstand im systemischen Kreislauf (und damit in der Aorta) relativ gering ist.
Daher ist der rechte Ventrikel während der Fetalphase größer als der linke Ventrikel. Sowohl beim Fötus als auch beim Neugeborenen wird der QRS-Komplex von elektrischen Strömen dominiert, die vom rechten Ventrikel erzeugt werden. Große R-Wellen in den Ableitungen V1-V3 sind daher normal. Die rechtsventrikuläre Dominanz erklärt auch, warum die elektrische Achse des Herzens bei Neugeborenen weiter rechts gelegen ist.
Der postnatale Kreislauf
Im Kreislauf ergeben sich nach der Geburt dramatische Veränderungen. Der Widerstand (Druck) im Lungenkreislauf nimmt sofort ab, wenn das Kind den ersten Atemzug macht und sich dadurch die rechtsventrikuläre Belastung schnell verringert. Der Ductus arteriosus obliteriert (verschließt sich), was zu einer erhöhten Perfusion im Lungenkreislauf führt.
Der Widerstand im systemischen Kreislauf nimmt zu, was zu einer erhöhten linksventrikulären Belastung führt. Im Alter von 1 Monat ist der linke Ventrikel größer als der rechte Ventrikel. Im Alter von 6 Monaten sind die Proportionen (zwischen rechten und linken Ventrikeln) mit denen bei Erwachsenen vergleichbar.
- Der funktionelle Verschluss des Foramen ovale dauert in der Regel einige Minuten bis 24 Stunden. Der anatomische Verschluss erfolgt später. Der Druck des rechten Vorhofs kann in den ersten Tagen nach der Geburt variieren, was das Shunting von Blut durch das Foramen ovale in den ersten Tagen erklären kann.
- Der Ductus arteriosus verschließt sich innerhalb weniger Tage nach der Geburt vollständig.
- Der Lungenwiderstand sinkt langsam, so dass der Druck im rechten Ventrikel nach 4 bis 6 Wochen bei 25% des linken Ventrikels liegt.
Wie oben beschrieben, durchläuft der fetale Kreislauf nach der Geburt bemerkenswerte Veränderungen. Der Prozess ist jedoch vulnerabel. Jeder Neugeborenenzustand mit Hypoxie oder Azidose kann den Anpassungsprozess stören. Hypoxie und Azidose verhindern eine Vasodilatation im Lungenkreislauf. Dies führt zu einer anhaltenden pulmonalen Hypertonie, die zu einem fortgesetzten Shunting von Blut durch das Foramen ovale (vom rechten zum linken Vorhof) führen kann. Da ein solches Shunting die Umgehung der Lunge impliziert, wird eine Zyanose auftreten.
EKG-Intervalle sind proportional zur Myokardmasse
Da das Herz des Kindes im Vergleich zu Erwachsenen klein ist, hat es weniger Myokardzellen, die depolarisieren und repolarisieren müssen. Dies erklärt, warum alle EKG-Intervalle (PQ-Intervall, QRS-Intervall, QTC-Intervall usw.) bei Kindern deutlich kürzer sind. Wenn das Herz wächst, nehmen diese Intervalle ebenfalls zu.
Abbildung 3 zeigt ein EKG, das bei einem 8 Tage alten Mädchen aufgezeichnet wurde. Die elektrische Achse weicht nach rechts ab (negativer QRS-Komplex in Ableitung I und positiver QRS-Komplex in Ableitung II). Prominente R-Wellen sind in den Ableitungen V1, V2 und V3 zu sehen. Es gibt negative T-Wellen in V1-V3, was ebenfalls normal ist. Es sind Q-Wellen in den inferioren Extremitätenableitungen (II, aVF und III) und in den lateralen Brustwandableitungen (V5, V6) zu erkennen.
EKG-Normalwerte (Referenzwerte) bei Neugeborenen und pädiatrischen Patienten
Es gibt zahlreiche Datenbanken und Publikationen zu Normalwerten bei Erwachsenen. Es gibt jedoch nur wenige Studien in der pädiatrischen Altersgruppe. Dies ist bedauerlich, da Referenzwerte eine zentrale Rolle bei der pädiatrischen EKG-Interpretation spielen. Kliniker haben traditionell Normalwerte verwendet, die 1979 (Davignon et al) und 2001 (Rijnbeek et al) veröffentlicht wurden. Die European Society for Cardiology empfiehlt, die von Davignon et al. veröffentlichten Normalwerte für die EKG-Interpretation bei Neugeborenen zu verwenden, da bei Rijnbeek et al. zu wenige Kinder unter 30 Tagen eingeschlossen wurden. Für Kinder ab 30 Tagen können sowohl die Normalwerte von Rijnbeek et al. als auch von Davignon et al. verwendet werden. Der Unterschied zwischen diesen beiden ist jedoch gering und beide werden im Folgenden ausführlich angegeben (siehe Normalwerte für pädiatrische und neonatale EKG-Interpretation).
Indikationen für ein EKG bei Kindern (neonatale und pädiatrische Patienten)
- Synkopen
- Krampfanfälle
- Herz-Lungen-Symptome bei körperlicher Belastung
- Schlechte körperliche Leistungsfähigkeit
- Arzneimittel-Nebenwirkungen oder Intoxikation
- Tachykardie (Tachyarrhythmie)
- Bradykardie (Bradyarrhythmie)
- Zyanose
- Herzinsuffizienz
- Hypothermie
- Elektrolytstörungen
- Kawasaki-Krankheit
- Rheumatische Herzkrankheit
- Myokarditis, Perikarditis, Perimyokarditis
- Herzkontusion
- Angeborene Herzkrankheiten
- Überwachung von lebenswichtigen Parametern
- Postoperatives Monitoring