ST-Hebung bei akuter Myokardischämie und Differentialdiagnosen
ST-Hebung bei akuter Myokardischämie
ST-Hebung mit gerader (horizontal, aufsteigend oder absteigend) oder konvexer ST-Strecke deutet auf eine akute transmurale Ischämie hin (Abbildung 1 A). Konkave ST-Streckenhebungen hingegen sind viel weniger wahrscheinlich durch eine Ischämie bedingt (Abbildung 1 B). Dies ist sowohl in nordamerikanischen als auch in europäischen Richtlinien vermerkt. Ein konkave ST-Strecke schließt jedoch eine Ischämie nicht aus, es reduziert lediglich die Wahrscheinlichkeit einer Ischämie als zugrunde liegende Ursache. Konkave ST-Streckenhebungen sind in der Bevölkerung tatsächlich sehr verbreitet (unten diskutiert).
Kriterien für ischämische ST-Hebungen
Aktuelle Kriterien für ischämische ST-Hebungen
Neue ST-Streckenhebungen in mindestens zwei anatomisch zusammenhängenden Ableitungen:
• Männer ≥40 Jahre: ≥2 mm in V2-V3 und ≥1 mm in allen anderen Ableitungen.
• Männer <40 Jahre: ≥2,5 mm in V2-V3 und ≥1 mm in allen anderen Ableitungen.
• Frauen (jedes Alter): ≥1,5 mm in V2-V3 und ≥1 mm in allen anderen Ableitungen.
• Männer und Frauen V4R und V3R: ≥0,5 mm, außer bei Männern <30 Jahren, bei diesen ≥1 mm.
• Männer & Frauen V7-V9: ≥0,5 mm
Die ST-Hebung bei Ischämie ist dynamisch. Ein Patient kann zunächst eine ST-Hebung aufweisen, die die EKG-Kriterien nicht erfüllt, nur um einige Minuten später eine massive ST-Hebung zu entwickeln. Tatsächlich deutet eine dynamische (variierende) ST-Strecke auf eine Myokardischämie hin. Es ist daher ratsam, den Patienten mit einer kontinuierlichen EKG-Überwachung zu verbinden, um eine solche Dynamik zu erkennen.
ST-Hebungen mit konkaver ST-Strecke
Konkave ST-Hebungen stellen eine diagnostische Herausforderung dar (Abbildung 1 B). Solche ST-Streckenhebungen sind in allen Teilen der Bevölkerung äußerst verbreitet. Sie kommen bei jungen, alten, gesunden und kranken Personen vor. Beispielsweise weisen etwa 90% der Männer im Alter von <30 Jahren in den Ableitungen V2—V3 konkave ST-Streckenhebungen auf. Dies erklärt, warum die Leitlinien höhere ST-Streckenhebungen in diesen Ableitungen erfordern (siehe Kriterien oben). Man muss jedoch vorsichtig sein. Es gibt auch viele Fälle von transmurale Ischämien mit konkaven ST-Hebungen. Darüber hinaus kann die ST-Strecke ein konkaves Aussehen haben, wenn die T-Welle prominent ist (z.B. bei Hyperkaliämie, früher Repolarisation (early repolarisation) oder sogar in frühen Phasen der Ischämie). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die konkave ST-Hebung untypisch für Ischämie ist, aber diese nicht ausschließen kann.
Weitere Merkmale der ischämischen ST-Streckenhebung
Beim STE-ACS (STEMI) liegt das Niveau des J-Punkts typischerweise nahe dem Niveau der T-Wellen-Spitze (d.h. der Höhenunterschied zwischen dem J-Punkt und dem Apex der T-Welle ist typischerweise gering). Darüber hinaus werden ischämische ST-Streckenhebungen typischerweise von reziproken ST-Streckensenkungen begleitet. Diese ST-Streckensenkungen sind Spiegelbilder der ST-Streckenhebungen. Sie werden in Ableitungen mit ungefähr entgegengesetzter Ausrichtung zu den Leitungen mit ST-Hebungen gesehen. Wichtig ist, dass reziproke Senkungen der ST-Strecke stark auf eine transmurale Ischämie hindeuten. Dies stimmt auch mit der Vektortheorie überein: Die Hebung in einer Ableitung sollte als Senkung in einer Ableitung mit entgegengesetzter Ausrichtung aufgezeichnet werden. Reziproke Streckensenkungen können jedoch allerdings auch fehlen. Es gibt drei Erklärungen, warum reziproke Senkungen der ST-Strecke fehlen können:
- Es gibt keine EKG-Ableitung mit entgegengesetztem Beobachtungswinkel.
- Die Verletzungsströme sind nicht stark genug, um in Ableitungen mit entgegengesetztem Beobachtungswinkel erkannt zu werden.
- Andere Vektoren können die Verletzungsströme stören und verhindern, dass sie durch Ableitungen mit entgegengesetztem Beobachtungswinkel erkannt werden.
Der elektrokardiographische natürliche Verlaufe des STE-ACS (STEMI)
Abbildung 2 zeigt die gesamte elektrokardiographische Entwicklung des STE-ACS/STEMI. Beachte, dass ein Patient mit STEMI während jeder der in dieser Abbildung dargestellten Phasen vorstellig werden kann, weshalb das EKG eingehend untersucht werden sollte.
Fallstricke
Eine akute transmurale Ischämie, die sich in den basalen Anteilen der lateralen Wand des linken Ventrikels befindet (auch als posterolaterale Wand bezeichnet), führt zu keinen ST-Streckenhebungen im herkömmlichen 12-Kanal-EKG, einfach weil keine der Ableitungen diese Verletzungsströme erkennen kann. Stattdessen treten in den vorderen Brustwandableitungen (V1-V3) reziproke Senkungen der ST-Strecke auf. In ähnlicher Weise wird eine akute transmurale Ischämie im rechten Ventrikel häufig übersehen, wenn nur die Standardleitungen verwendet werden. Um dies zu korrigieren, kann man die rechtsseitigen Brustwandableitungen V4R und V5R hinzufügen. Einzelheiten finden Sie unter ST-Hebungsinfarkt (STEMI) ohne ST-Hebungen.
Differentialdiagnosen bei ST-Streckenhebungen
Dieser Abschnitt ist von größter Bedeutung für alle, die Patienten mit möglichen Herzerkrankungen versorgen. Jeder Arzt, jede Krankenschwester und jeder Sanitäter sollte in der Lage sein, 15 verschiedene Ursachen für ST-Streckenhebungen sicher zu unterscheiden, weshalb hier eine detaillierte Vorstellung folgt. Jede Differentialdiagnose wird separat diskutiert, beginnend mit der gebräuchlichsten Form der ST-Hebung, nämlich dem männlichen/weiblichen Muster.
1. Männliches/weibliches Muster („Normale ST-Hebung“).
Das männliche/weibliche Muster ist bei weitem die häufigste Art der ST-Hebung. Sie ist völlig benigne und bisher hat keine Studie dieses Muster mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf- oder Gesamt-Mortalität in Verbindung gebracht. Die Prävalenz wurde bei Männern (insbesondere in der US-Armee) gründlich untersucht, weshalb dieses Muster normalerweise als männliches Muster bezeichnet wird. Es ist aber auch bei Frauen üblich. Studien zeigen, dass bei Männern im Alter von 16 bis 58 Jahren rund 90% eine ST-Streckenhebung ≥1 mm in ≥ 1 Brustwandableitung aufweisen. Die Prävalenz sinkt bei Männern im Alter von 70 Jahren oder älter auf 30%. Bei Frauen hingegen ist die Prävalenz über die gesamte Altersspanne gleich und beträgt ungefähr 20%. Es ist ein eklatanter, aber viel zu häufiger Fehler (selbst unter Kardiologen und Elektrophysiologen), das männliche/weibliche Muster mit einer frühen Repolarisation (early repolarisation) zu verwechseln.
EKG-Eigenschaften des männlichen/weiblichen Musters
Ein repräsentatives EKG-Beispiel ist in Abbildung 4 dargestellt.
- Die ST-Streckenhebungen sind in den Leitungen V2—V4 am ausgeprägtesten, wo sie 3 mm oder sogar mehr betragen können. Frauen zeigen durchgehend eine geringer ausgeprägte ST-Hebung als Männer. Die ST-Steckenhebung ist in den lateralen Brustwandableitungen weniger ausgeprägt und überschreitet selten 1 mm in den Ableitungen V5-V6.
- Die ST-Strecke hat ein konkaves Aussehen.
- Der T-Wellen-Apex ist wesentlich höher als der J-Punkt.
- Je größer die QRS-Amplitude, desto größer ist die ST-Streckenhebung.
- Ein männliches/weibliches Muster kann auch in den Extremitätenableitungen auftreten (insbesondere II, aVF und III). Es jedoch in den Extremitätenableitungen viel weniger stark ausgeprägt (typischerweise <1 mm).
In einigen Lehrbüchern wird das männliche/weibliche Muster als „normale ST-Streckenhebung“ bezeichnet.
- Male/female pattern : Männliches/weibliches Muster
2. Frühe Repolarisation (Early repolarization)
Eine frühe Repolarisation (engl. early repolarization) ist ein weiterer, häufig missverstandener Zustand. Eine frühe Repolarisation tritt bei 5—10% aller Männer auf (US-Daten). Es ist etwas seltener bei Frauen (Prävalenz 2—4%). Dieser Zustand ist seit Jahrzehnten anerkannt und wurde als benigne Form der ST-Streckenhebung angesehen. Der Begriff „frühe Repolarisation” (engl. early repolarisation) wurde verwendet, um zu beschreiben, was eine vorzeitige Repolarisation im EKG zu sein schien. Wie in Abbildung 5 zu sehen, sind die ST-Streckenhebungen in der Tat mit einer scheinbaren Unterbrechung des QRS-Komplexes und der Einleitung einer Repolarisation assoziiert. Bisher konnte jedoch keine Studie nachweisen, dass die Repolarisation tatsächlich verfrüht ist. Darüber hinaus ist dieser Zustand mit einem 5-mal so großen Risiko für einen plötzlichen Herztod verbunden. Das Präfix „benigne“ darf daher nicht verwendet werden. Das Risiko eines plötzlichen Herztodes ist am größten, wenn die frühen Repolarisationsmuster in den inferioren Extremitätenableitungen (II, aVF und III) auftritt.
EKG-Eigenschaften der frühe Repolarisation (early repolarization)
- Die ST-Streckenhebungen sind konkav und in den Brustwandableitungen am ausgeprägtesten. T-Wellen haben eine hohe Amplitude.
- Das Kennzeichen der frühen Repolarisation (early repolarisation) ist der bogenförmige End-QRS-Verlauf (engl. end-QRS slurring) oder die End-QRS-Kerbung (engl. end-QRS notching). Beide können im selben EKG auftreten. Die gesamte Kerbung (engl. notch) muss über der Grundlinie liegen. Der Bogen (engl. slur) muss beginnen, bevor die Grundlinie erreicht ist. Siehe Abbildung 5, Panel A.
- Der End-QRS-Slur- und der End-QRS-Notch werden mit den Begriffen Jonset, Jpeak, Jtermination (Abbildung 5, Panel A) beschrieben. Bei Brustschmerzen wird das Höhe der ST-Hebung im Jtermination gemessen.
In einem kürzlich veröffentlichten Konsensbericht über die frühe Repolarisation (early repolarisation) (MacFarlane et al, 2016, JACC) wurden folgende Kriterien für eine frühe Repolarisation (early repolarisation) aufgeführt:
- Kerbung (engl. notch) oder Bogen (engl. slur) im Übergang zwischen R-Welle und ST-Strecke. Eine ST-Hebung ist fast immer vorhanden.
- Jpeak beträgt ≥1 mm in mindestens zwei anatomisch zusammenhängenden Ableitungen (V1-V3 zählt nicht).
- QRS-Intervall <120 ms.
3. Linksventrikuläre Hypertrophie (LVH)
Das Kennzeichen der linksventrikulären Hypertrophie (LVH) sind die hohen QRS-Amplituden. Große R-Wellen sind in V5-V6 und tiefe S-Wellen in V1-V2 zu sehen. Sekundäre ST-T-Veränderungen sind häufig in V1-V2 (ST-Hebungen) und V5-V6 (ST-Senkungen) zu beobachten. Siehe Abbildung 6 für ein EKG-Beispiel.
Das EKG bei linksventrikulärer Hypertrophie
- Große R-Wellen in V5-V6 und tiefe S-Wellen in V1-V2.
- Konkave ST-Streckenhebungen in V1-V3. Je tiefer die S-Welle, desto größer ist die Höhe der ST-Strecke.
- Sekundäre ST-Streckensenkungen werden in V5-V6 beobachtet.
4. Linksschenkelblock (LSB)
Die Interpretation einer Ischämie ist bekanntermaßen schwierig, wenn ein Linksschenkelblock (LS
B) vorliegt. Dies liegt daran, dass der Linksschenkelblock deutliche Veränderungen der linksventrikulären De- und Repolarisation verursacht. Der Linksschenkelblock verursacht immer prominente sekundäre ST-T-Veränderungen, die eine Ischämie sowohl imitieren als auch maskieren können. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Mehrheit der Patienten, die mit Verdacht auf STE-ACS/STEMI unangemessen an das Katheterisierungslabor (für PCI) überwiesen wurden, einen Linksschenkelblock hatten. Daher stellt der Linksschenkelblock eine diagnostische Herausforderung dar.
Frühe Studien aus den 1990er Jahren zeigten, dass Patienten mit Brustbeschwerden und neuem Linksschenkelblock, die sofort zur PCI überwiesen wurden, ein besseres Überleben hatten als vergleichbare Patienten, die nicht sofort zur PCI überwiesen wurden. Ein signifikanter Teil dieser Patienten hatte eine totale Okklusion, die mit einer PCI behandelt werden konnte. Seit diesen Studien empfehlen Leitlinien, dass Patienten mit Brustbeschwerden und neu diagnostiziertem Linksschenkelblock sofort an das Katheterisierungslabor überwiesen werden sollten, um eine PCI durchzuführen. Dies führt jedoch zu einer Überweisung vieler Patienten , bei denen eine PCI nicht notwendig gewesen wäre (Fehlen einer vollständigen Okklusion in der Koronararterie), und die Gründe sind wie folgt:
- Ein erheblicher Teil der Linksschenkelblöcke ist nicht neu, sondern einfach neu für das Gesundheitssystem (z.B. beim Fehlen früherer EKG-Aufzeichnungen).
- Selbst wenn der Linksschenkelblock neu ist, ist die Okklusion möglicherweise nicht vollständig. In diesem Fall bringt die PCI keinen Überlebensvorteil.
Diese Themen werden im Kapitel Linksschenkelblock (LSB) beim akuten Myokardinfarkt und Ischämie ausführlich diskutiert. Im Rahmen des vorliegenden Kapitels wird der Fokus nun auf die sekundären ST-T-Veränderungen geleitet, die durch den Linksschenkelblock verursacht werden.
EKG bei Linksschenkelblock
- Der Linksschenkelblock verursacht häufig ST-Streckenhebungen in den Ableitungen V1-V2. Die ST-Hebung hat typischerweise ein konkave ST-Strecke.
- ST-Streckensenkungen sind in den Ableitungen V5, V6, aVL und I zu sehen.
- Das Kennzeichen des Linksschenkelblocks ist der breiter QRS-Komplex (QRS-Intervall ≥0,12 s), eine tiefe S-Welle in V1-V2 sowie eine große und klumpige R-Welle in V5, V6, aVL und I.
Diese EKG-Veränderungen sind in Abbildung 7 dargestellt.
5. Akute Perimyokarditis (Myokarditis)
Myokarditis und Perikarditis treten tendenziell simultan auf, weshalb der Begriff Perimyokarditis verwendet werden kann. Dieser Zustand kann zu schweren retrosternalen Brustschmerzen führen, die denen bei akutem Myokardinfarkt sehr ähnlich sind. Es treten auch ST-Streckenhebungen auf, diese sind aber normalerweise leicht vom ST-Hebungsinfarkt (STEMI/STE-ACS) zu unterscheiden. Die ST-Streckenhebungen bei Perimyokarditis sind generalisiert, was bedeutet, dass sie in der Mehrheit der EKG-Ableitungen vorliegen. Dies ist bei STEMI/STE-ACS äußerst ungewöhnlich, denn bei diesem sind die ST-Hebungen auf den ischämischen Myokardbereich beschränkt (was wiederum von der Lokalisation der Arterienokklusion abhängt). Im klassischsten Fall der Perimyokarditis gibt es ST-Streckenhebungen in allen Ableitungen außer Ableitung V1. Die Morphologie der ST-Streckenhebungen erinnert an eine frühe Repolarisation (early repolarisation) und es kann sogar eine Kerbung im J-Punkt geben. Die ST-Streckenhebung bei Perimyokarditis überschreiten jedoch selten 4 mm (bei STEMI/STE-ACS durchaus möglich). Darüber hinaus gibt es bei der Myokarditis keine reziproken ST-Streckensenkungen und niemals gleichzeitige T-Wellen-Inversionen. Beim STEMI/STE-ACS hingegen sind reziproke ST-Streckensenkungen typisch und es können T-Wellen-Inversionen in denselben Ableitungen auftreten, die ST-Hebungen zeigen.
Eine T-Wellen-Inversion kann unter Umständen bei einer Perimyokarditis auftreten, jedoch erst nach Normalisierung der ST-Streckenhebung (d.h. diese zu EKG-Veränderungen treten nicht simulatan auf).
Schließlich liegt bei einer Perimyokarditis häufig eine PQ-Steckensenkung vor. Dies kann als eine abfallende PQ-Strecke erscheinen (in den meisten Ableitungen). Die einzige Ausnahme ist Ableitung V1, das tendenziell eine PR-Streckenhebung anzeigt.
Ein Beispiel für eine Perimyokarditis ist in Abbildung 8 dargestellt.
6. Hyperkaliämie
- Eine Hyperkaliämie kann zu ST-Streckenhebungen in den Ableitungen V1-V2 führen. Die ST-Strecke ist typischerweise gerade. Eine ausgeprägte Hyperkaliämie kann zu ST-Streckenhebungen führen, die denen beim Brugada-Syndrom ähneln.
- Andere Anzeichen einer Hyperkaliämie sind ebenfalls vorhanden (breite QRS-Komplexe, hohe zeltförmige T-Wellen, verminderte P-Wellenamplitude).
Die Korrektur des Serumkaliumspiegels normalisiert die EKG-Veränderungen.
7. Brugada-Syndrom
Das Brugada-Syndrom ist eine seltene Kanalopathie (elektrische Störung, die durch eine abnormale oder fehlende Ionenkanalfunktion verursacht wird), die die betroffene Person für Synkopen, bösartige ventrikuläre Arrhythmien (ventrikuläre Tachykardie, Kammerflimmern) und plötzlichen Herztod prädisponiert. Es gibt drei Arten von EKG-Präsentationen, die als Brugada-Syndrom Typ 1, Typ 2 und Typ 3 bezeichnet werden. In Abbildung 10 finden Sie EKG-Beispiele für das Brugada-Syndrom Typ 1, 2 und 3.
Das typischste (und diagnostisch) ist das Typ-1-Brugada-Syndrom. Es erinnert etwas an einen Rechtsschenkelblock (RSB) in Ableitungen V1 – V3, aber die QRS-Dauer ist in den Ableitungen V5-V6 nicht verlängert (dies entspricht nicht einem Rechtsschenkelblock, bei dem breite QRS-Komplexe vorliegen müssen). Die ST-Streckenhebung hat eine gewölbte Form (oft als „Haifischflosse“ bezeichnet) in V1, V2 oder V3. Die ST-Strecke beginnt am Scheitelpunkt der zweiten R-Welle und ist absteigend (Panel A, Abbildung 10). Die T-Welle ist negativ (invertiert).
Beim Brugada-Syndrom Typ 2 und Typ 3 ist die ST-Streckenhebung sattelförmig (Panels B und C, Abbildung 10). Der Unterschied zwischen Typ 2 und Typ 3 besteht darin, dass die ST-Streckenhebung in Typ 2 ≥2 mm erhöht ist (sie ist beim Brugada-Syndrom Typ 3 niedriger).
Einzelheiten im Kapitel Brugada-Syndrom.
8. Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie/Dysplasie (ARVC/ARVD)
Eine arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie/Dysplasie (ARVC/ARVD) kann zu ST-Streckenhebungen in den Ableitungen V1-V3 führen, ähnlich denen des Brugada-Syndroms.
9. Präexzitation & WPW (Wolff-Parkinson-White-Syndrom)
Die Präexzitation (d.h. vorzeitige Aktivierung) des ventrikulären Myokards aufgrund eines akzessorischen Leitungsbahn zwischen Vorhöfen und Ventrikel führt zu einer abnormalen Depolarisation der Ventrikel, was zu einer abnormalen Repolarisation führt. Die sekundären ST-T-Veränderungen manifestieren sich als ST-Hebungen und ST-Senkungen. Die Präexzitation kann auch abnormale Q-Wellen verursachen. Siehe Abbildung 11 für ein EKG-Beispiel. Einzelheiten zu den Präexzitations-Syndromen finden sich unter Präexzitation & WPW (Wolff-Parkinson-White-Syndrom).
10. Elektrische Kardioversion
Vorübergehende ST-Streckenhebungen (normalerweise Minuten) können einer elektrischen Kardioversion folgen. Die ST-Streckenhebungen ähneln denen des Brugada-Syndroms. Siehe Abbildung 12 für ein EKG-Beispiel.
11. Takotsubo-Kardiomyopathie (broken-heart syndrome, apical ballooning syndrome, stress-induced cardiomyopathy)
Die Takotsubo-Kardiomyopathie ist eine ziemlich eigenartige und akute Erkrankung, welcher in den letzten Jahren viel Forschung gewidmet wurde. Praktisch alle Fälle von Takotsubo-Kardiomyopathie treten in Situationen mit extremen Belastungen auf, wie Autounfällen, Waffengewalt, Bedrohungen oder jeder anderen Situation, in der das Leben der betroffenen Person gefährdet ist (oder so wahrgenommen wird). Die Takotsubo-Kardiomyopathie tritt viel häufiger bei Frauen auf. Die betroffene Person hat typischweise starke Brustschmerzen, Dyspnoe und weist in einigen Fällen hämodynamische Beeinträchtigungen auf. Das EKG zeigt lokalisierte ST-Streckenhebungen, T-Wellen-Inversionen und gelegentlich pathologische Q-Wellen. Der Troponinspiegel ist häufig erhöht. Daher kann die Takotsubo-Kardiomyopathie nicht von einem ST-Hebungsinfarkt unterschieden werden (außer durch die Anamnese). Diese Patienten werden zur sofortigen Katheterisierung verwiesen, bei der keine Koronarokklusionen gefunden werden können. Die Injektion von Kontrastmitteln zeigt aber, dass der apikale Teil des linken Ventrikels erweitert ist (daher der Begriff “apical ballooning syndrom”). Dieses Syndrom wurde erstmals 1991 in Japan beschrieben, und die Autoren bezeichneten es Takotsubo, welches das japanische Wort für eine Art Oktopusfalle ist (der linke Ventrikel nimmt die Form dieser Oktopusfalle an).
Studien aus den USA und Japan haben geschätzt, dass bis zu 2% der Patienten, die mit Verdacht auf STE-ACS/STEMI zur PCI geschickt werden, tatsächlich eine Takotsubo-Kardiomyopathie haben. Frühere Studien berichteten, dass 98 von 100 Fällen eine vollständige Genesung hatten. Neuere Studien (Omerovic et al.) haben berichtet, dass die Mortalitätsraten 4% erreichen.
- 80% der Patienten haben lokalisierte ST-Streckenhebungen (meist in den Brustwandableitungen). Die Morphologie der ST-Streckenhebungen kann nicht von denen unterschieden werden, die bei STEMI/STE-ACS zu sehen sind.
- 64% haben T-Wellen-Veränderungen (meist Inversionen), die die ST-Streckenhebungen begleiten.
- 32% haben pathologische Q-Wellen.
Einzelheiten finden sich im Kapitel Takotsubo-Kardiomyopathie (apical ballooning, stress-induced cardiomyopathy).
12. Prinzmetal-Angina (Angina varians, Vasospasmus der Koronararterie)
Die Prinzmetal-Angina wird durch einen Vasospasmus der Koronararterie verursacht. Der Vasospasmus verursacht eine totale Okklusion der Koronararterie, was zu ST-Streckenhebungen führt. Jedoch ist der Vasospasmus und damit die Ischämie praktisch immer temporär und löst sich vor der Entwicklung eines Infarkts auf. Auf die ST-Streckenhebungen folgen T-Wellen-Inversionen, die Tage oder sogar Wochen persistieren können.
13. Lungenembolie
Eine Lungenembolie kann zu ST-Streckenhebungen in V1, V2, II, aVF und III führen. Der häufigste EKG-Befund bei einer Lungenembolie ist jedoch die Sinustachykardie. Gelegentlich ist das S1Q3T3-Muster zu sehen; dies bedeutet, dass es eine prominente S-Welle in Ableitung I, eine große Q-Welle in Ableitung III und T-Wellen-Inversion in Ableitung III gibt. Darüber hinaus sind T-Wellen-Inversionen in Ableitung V1-V3 bei einer Lungenembolie üblich. Schließlich sollte ein neuer Rechtsschenkelblock (RSB) bei Patienten mit Dyspnoe immer den Verdacht auf Lungenembolie wecken.
14. Hypothermie & Hyperkalzämie
Bei beiden Zuständen können (in allen Ableitungen) J-Wellen auftreten. J-Wellen werden auch Osborn-Wellen genannt, insbesondere im Zusammenhang mit Hypothermie und Hyperkalzämie. Es gibt jedoch zwei weitere J-Wellen-Syndrome, nämlich das Brugada-Syndrom und die frühe Repolarisation (early repolarisation).
J-Wellen (Osborn-Wellen) und J-Wave Syndrome werden separat diskutiert.
15. Proximale Aortendissektion
Eine Aortendissektion kann den Bulbus Aorta mitbetreffen und somit die Koronararterienostien (am häufigsten das Ostium der rechten Koronararterie) verschließen. Die Okklusion verursacht ST-Streckenhebungen und eine transmurale Ischämie. Die Prognose dieses Krankeheitszustands ist extrem schlecht.
16. Linksventrikuläres Aneurysma
Das linksventrikuläre Aneurysma ist eine Komplikation bei transmurale Infarkten (ST-Hebungsinfarkt) und kann zu persistierenden ST-Streckenhebungen führen. Diese können über Monate oder sogar Jahre bestehen. Die ST-Streckenhebungen treten in den EKG-Ableitungen auf, die den aneurysmatischen Bereich widerspiegeln.